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Florian Stachelscheid

Ich habe unzählige Freunden aus dem Land und der ganzen Welt kennengelernt. Ich habe erlebt, was Gastfreundschaft bedeutet. Und ich habe eine wichtige Tugend gelernt: Gelassenheit.

Mein Name ist Florian Stachelscheid. Ich bin Alumni der Universität Siegen, wo ich von 2007 bis 2016 Volks- und Betriebswirtschaftslehre sowie Wirtschaftspolitik studiert habe.

Ich hatte das Vergnügen, mit der Unterstützung eines Go-East-Stipendiums des DAAD von Februar 2015 an ein Semester in Baku (aserbaidschanisch „Bakı“), der Hauptstadt Aserbaidschans, zu verbringen und an der Azərbaycan Dövlət İqtisad Universiteti (Wirtschaftsuniversität des aserbaidschanischen Staates, englisch kurz ASEU) zu studieren. Einen Einblick in die unglaublich vielfältigen Erfahrungen aus dieser Zeit möchte ich gern mit euch teilen.

Motivation

Spätestens seit ich 2013 mein ERASMUS-Semester im litauischen Vilnius absolviert hatte, war das Fernweh in mir geweckt. Nicht nur hatte sich dort ein mir zuvor unbekanntes Umfeld in eine zweite Heimat verwandelt und mein Freundeskreis um viele bemerkenswerte Menschen aus aller Welt erweitert – ich war sowohl fachlich als auch persönlich an dieser einmaligen Erfahrung gewachsen. In den folgenden eineinhalb Jahren bereiste ich in meiner freien Zeit Ungarn, Italien und Polen und empfing auch einige meiner neu gewonnen internationalen Freunde in Siegen. Ab Herbst 2014 beschäftigte ich mich dann mit den Möglichkeiten, vor Abschluss meines Studiums noch einmal ins Ausland zu gehen.

Als mich im Dezember die Ausschreibung des Go-East-Stipendiums für Bakı über den Newsletter unserer Fakultät erreichte, war ich daher sofort Feuer und Flamme und kontaktierte die angegebenen Ansprechpartner, um organisatorische Details in Erfahrung zu bringen. Aserbaidschan versprühte insofern einen besonderen Reiz, als ich zu diesem Zeitpunkt abgesehen von der groben geografischen Lage so gut wie nichts über dieses Land wusste.

Um dies zu ändern, recherchierte ich im Internet und wandte mich parallel an eine mir persönlich bekannte Kommilitonin, die, wie aus den Ausschreibungsunterlagen hervorging, im zurückliegenden Sommer im Rahmen einer Summer School bereits in Bakı gewesen war, und fragte sie nach ihren Eindrücken. Sie gab mir einen sehr guten ersten Einblick in das, was mich in Bakı erwarten würde und vermittelte mir den Kontakt zu einer Freundin, die dort soeben ihr freiwilliges soziales Jahr abgeschlossen hatte und die mir wiederum wertvolle Kontakte vor Ort zur Verfügung stellte.

Dank der positiven mündlichen Schilderungen entschied ich mich dazu, mich auf das Stipendium zu bewerben. Die Einladung zum Bewerbungsgespräch erfolgte prompt, und noch in der gleichen Woche bekam ich die Zusage.

Planung und Vorbereitung

Da zwischen der Zusage kurz vor Weihnachten und dem Beginn des Aufenthalts lediglich zwei Monate lagen, musste nun alles sehr schnell gehen. Ich informierte mich auf den Seiten des Auswärtigen Amtes über die Einreisebestimmungen, ließ meinen Impfschutz auffrischen und stellte in Absprache den Ansprechpartnern sowohl meiner als auch der aserbaidschanischen Uni einen Visumantrag. Mit der Koordinatorin im International Office der ASEU klärte ich außerdem per E-Mail eine Vorauswahl von Veranstaltungen ab, die ich dort besuchen wollte.

Parallel kontaktierte ich via Facebook die vermittelten Personen in Bakı und bat sie, mir bei der Wohnungssuche behilflich zu sein. Glücklicherweise war aus diesem Freundeskreis ein Aserbaidschaner in meinem Alter gerade ebenfalls auf der Suche. Wir verständigten uns darauf, nach meiner Ankunft eine Wohnung zu teilen. Außerdem bot er mir an, mich bei meiner Ankunft vom Flughafen abzuholen.

Durch diese wertvollen Kontakte hatte ich bereits vor meiner Anreise nicht nur eine feste Unterkunft, sondern auch einen kleinen Zirkel von offenen und hilfsbereiten Bekannten vor Ort, die später zu echten Freunden werden sollten.

Studium

Am Tag nach meiner Ankunft meldete ich mich beim International Relations Department der ASEU, wo ich sehr herzlich begrüßt und sogleich dem Dekan für Wirtschaftswissenschaften, dem Prorektor für Internationale Beziehungen und dem Präsidenten vorgestellt wurde.

Bereits an dieser Stelle möchte ich mich herzlich nicht nur bei Frau Professor Moog und Herrn Eberhardt von der Uni Siegen für die tolle Betreuung bedanken, sondern auch bei der ASEU, dem Team des International Relations Department und besonders Frau Alakbarova, die in allen organisatorischen Fragen vor Ort eine unschätzbare Hilfe war.

Die ASEU zeigte sich bei der Gestaltung meines Stundenplans sehr kulant: Obwohl die Studiengänge dort streng dem jeweiligen Curriculum folgen und keine Wahlmöglichkeiten vorsehen, durfte ich meinen Stundenplan aus dem gesamten wirtschaftswissenschaftlichen Kursangebot der Uni frei zusammenstellen und musste ihn erst nach zwei Wochen „Schnupperstudium“ verbindlich festlegen. Ich entschied mich für zwei Management-Kurse aus dem MBA-Programm (International Business Environment und Managerial Accounting) und einen Kurs aus dem VWL-Master (Geo-Economics). Außerdem besuchte ich einzelne Sitzungen eines Kurses aus dem VWL-Bachelor (International Economic Relations), wo ich auf Anfrage der Dozentin eine einstündige Präsentation zur Funktionsweise der Europäischen Union hielt.

Die von mir belegten Kurse wurden komplett auf Englisch gehalten und waren inhaltlich interessant gestaltet. Allein das fachliche Niveau war eher mit dem meines Siegener Bachelor-Studiums vergleichbar als mit dem meines Masterstudiums. Neben den Abschlussklausuren galt es während des Semesters pro Fach zwei Kurztests mit Auswahlfragen und eine schriftliche Zwischenprüfung in Form einer Klausur oder Ausarbeitung abzulegen. Es herrschte Anwesenheitspflicht. Meine drei Kurse schloss ich allesamt mit Note A ab.

Aserbaidschanisch-Unterricht nahm ich zusammen mit meinem Siegener Kommilitonen Bastian, der ein paar Tage nach mir ankam. Leider kamen wir aufgrund eines Missverständnisses mit der ASEU nicht über Grundlagen hinaus. Zu einer unverhofften, aber positiven Erfahrung verhalf uns die Bitte des International Relations Department, vier Mal in der Woche für jeweils eine Stunde eine Konversationsrunde für die Deutschlernenden der Fakultät zu leiten. Nach anfänglicher Skepsis stellten sich die Deutschstunden als interessante Herausforderung heraus.

Alltag und Freizeit

Mein Aufenthaltszeitraum hätte nicht besser gewählt sein können, um alle Facetten Bakıs abzudecken. So begrüßte mich die Stadt des Windes bei meiner Ankunft mit Schneefall und verabschiedete mich bei über 40 Grad Celsius im Schatten.

Meine Ankunft fiel zudem genau auf das Wochenende nach der großen Devaluation des Aserbaidschanischen Manat Ende Februar. Zwar profitierte ich in der Folge finanziell vom günstigeren Wechselkurs, wurde jedoch auch Zeuge dessen, welch tiefgreifende Folgen die Abwertung der Landeswährung für eine Volkswirtschaft hat, die die meisten Güter des täglichen Bedarfs importiert und in der Büromieten und Kredite – anders als Löhne und Gehälter – überwiegend auf US-Dollar lauten.

Weiterhin besaß ich das Glück, mit dem aus Sowjetzeiten populären Internationalen Frauentag, dem vormuslimischen Frühlingsfest Novruz, dem im Gedenken an den Landesvater gefeierten Blumenfest Gül Bayramı, dem Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramazan und natürlich den ersten Europäischen Spielen Feierlichkeiten miterleben zu dürfen, die sinnbildlicher nicht sein könnten für die verschiedenen politischen und kulturellen Einflüsse, die auf Aserbaidschan gewirkt haben und wirken.

Ebenso vielfältig waren die zahlreichen Bekanntschaften, die ich während meines Aufenthalts machen durfte. Durch das bereits erwähnte Glück, bereits im Vorfeld mit Kontakten vor Ort in Austausch zu stehen, lernte ich auch außerhalb der Universität sehr schnell einen großen Kreis von Menschen meines Alters kennen, die sowohl aus Einheimischen als auch aus anderen internationalen Gästen bestand.

Durch meinen aserbaidschanischen Freunde und insbesondere meinen Mitbewohner erfuhr ich viel über die aserbaidschanische Kultur, sodass ich mich nicht nur oberflächlich – etwa über die nationale Küche und die kommunikativen Gepflogenheiten – annäherte, sondern auch ein tieferes Verständnis für Tradition und Mentalität gewinnen durfte.

Meine ausländischen Freunde, darunter Mitglieder der deutschen, belgischen, niederländischen und US-amerikanischen Botschaft und anderer internationaler Organisationen, vermittelten mir darüber hinaus wertvolle Einblicke in die Politik und Diplomatie Aserbaidschans. Ebenso bekam ich eine Vorstellung vom Leben der Expatriates, von denen ich viele bei den humorigen Rudel-Läufen der sogenannten Hash House Harriers kennenlernte.

Außerdem verschaffte eine befreundete Diplomatin meinem Kommilitonen Bastian und mir die einmalige Möglichkeit, dem Jahresgipfel des Direktoriums der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) beizuwohnen, der für drei Tage lang in Bakı tagte und für uns als angehenden Ökonomen überaus spannende Perspektiven eröffnete.

Während der europäischen Spiele, von denen ich mir auch einige Wettbewerbe live ansah, nahmen mein Mitbewohner und ich zwei europäische Journalisten in unsere Wohnung auf, die nicht nur über das Sportereignis, sondern auch über die angespannte innenpolitische Situation im Land berichteten. In zahlreichen Gesprächen tauschten wir unsere Eindrücke aus. Zudem eröffneten sie mir einen Einblick in ihre Arbeit zum anhaltenden Bergkarabach-Konflikt mit Armenien, im Rahmen derer sie auch das außenpolitisch verfeindete Nachbarland besucht hatten.

An etwa der Hälfte der Wochenenden half ich schließlich unentgeltlich für jeweils einige Stunden bei der Kinderbetreuung „Biene Maja“ aus, die deutschsprachige Früherziehung für Nicht-Muttersprachler anbietet. Es machte mir großen Spaß, die schnellen Lernerfolge der Kinder zu beobachten.

Neben all diesen Erfahrungen und Bekanntschaften werden mir viele weitere Begegnungen in Erinnerung bleiben. So etwa das zufällige Zusammentreffen mit einem Offizier der aserbaidschanischen Armee, der für ein Jahr Dienst bei der Bundeswehr in Deutschland geleistet hat und daher mit Freuden bei einigen Gläsern Bier in einer Bar seine Deutschkenntnisse auffrischt. Kommilitonen, die angesichts des schwelenden Konflikts mit Armenien in großer Sorge ihrem einjährigen Militärdienst entgegensehen. Das Treffen mit einem Anhänger der Opposition, der, frisch verheiratet, sein in Aserbaidschan nicht unproblematisches politisches Engagement aus Rücksicht auf die gemeinsame Familienplanung zurückstellen muss. Oder die Einladung einer wohlhabenden Dame, die Deutsch lernt, um ihrem nach Deutschland emigrierten Sohn entgegenzukommen; obwohl sie als Ehefrau eines wohlhabenden Bauunternehmers eine weltoffene und liberale Lebensauffassung vertritt, bleibt sie dennoch ihrem islamischen Glauben und dem Tragen des Kopftuchs treu, um, wie sie sagt, die weiten Familienbande zusammenzuhalten.

Diese Erfahrungen stehen nicht nur für sich, sondern verdeutlichen für mich sinnbildlich eine ganze Reihe von positiven Eindrücken, aber auch von sozialen und politischen Dilemmata, in denen sich die aserbaidschanische Gesellschaft befindet.

Meinen Eindruck von Land und Leuten rundeten mehrere Ausflüge in die Regionen Aserbaidschans ab: Der Öffentlichkeitsbeauftragte der ASEU höchstpersönlich lud Bastian und mich zu einem Ausflug zum flammenden Berg von Yanardağ ein. Gemeinsam mit dem International Relations Department besuchten wir eine regionale muslimische Pilgerstätte samt angrenzendem Friedhof. Die im Vergleich zu Bakı sehr grünen Ausläufer des Kaukasus bewanderte ich in der Gegend um Quba mit Hilfe von Cavid Qara, einem lokalen Reiseführer, der mit seinem kleinen Ein-Mann-Unternehmen „Camping Azerbaijan“ günstige Touren zu Zielen abseits der Reiseführer-Routen anbietet (https://www.facebook.com/campingazerbaijan2014/?pnref=lhc). Hier lernte ich Angehörige der Tat, einer der zahlreichen sprachlich-ethnischen Minderheiten des Kaukasus, kennen, die meine Gruppe mit landesüblicher herzlicher Gastfreundschaft zum Tee einluden. Auf Einladung eines Freundes durfte ich zudem zwei Tage lang das historische Şəki erkunden. Gegen Ende meines Aufenthalts verbrachte ich schließlich mit einer Gruppe Freunden einen zweitägigen Entspannungsurlaub im idyllisch gelegenen Pirqulu.

Fazit

Mein Aufenthalt in Aserbaidschan war eine einmalige und großartige Erfahrung. Ich habe unzählige Freunden aus dem Land und der ganzen Welt kennengelernt. Ich habe erlebt, was Gastfreundschaft bedeutet. Und ich habe eine wichtige Tugend gelernt: Gelassenheit.

Ich möchte dieses Erlebnis jedem Menschen empfehlen, der sich selbst ein Bild von der geografischen und kulturellen Schnittstelle zwischen Europa, Asien und dem arabischen Raum machen möchte. Er wird gleichermaßen die Welt und sich selbst besser verstehen lernen.

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